Den Kennern von Anthony Burgess´ A Clockwerk Orange ist die Ludovico Methode sicher ein Begriff. Es handelt sich um eine experimentelle Therapie zur Steigerung bestimmter Aversionsgefühle, der sich der Protagonist Alex unterziehen muss. Alex ist ein junger Hooligan, der für den Mord an einer älteren Frau bestraft werden soll. Um sein Strafmaß zu mildern, lässt er sich auf einen Handel ein: er setzt sich freiwillig einem Kreuzfeuer intensiver, irritierender Filmsequenzen aus, die von Musik von Händel und Beethoven begleitet werden. Stanley Kubricks berühmte Adaption des Romans zeigt in dieser Szene den charismatischen, skrupellosen Alex (gespielt von Malcolm McDowell) gefesselt in einem Zahnarztstuhl. Ein Team von Technikern in weißen Kitteln befestigt gabelartige Klemmen an seinen Lidern, um die Augen offen zu halten. Sie befestigen Elektroden an seinem Körper und injizieren ihm ein Übelkeit erzeugendes Serum während Sequenzen von Massenvergewaltigungen, Nazischlägereien und lachenden folternden japanischen Soldaten als Endlosschleife in dem dunklen, theaterartigen Raum laufen.

Die Ludovico Methode hat zum Ziel, Alex dazu zu bringen, dass er nie wieder auch nur an Gewalt denken kann, ohne dass ihn ein extremes körperliches Unwohlsein überfällt. Alle seine gewalttätigen Gedanken werden so untrennbar mit den Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts verbunden, denen er erzwungenermaßen ausgesetzt ist. Das traditionell existenzialistische Unwohlsein (immer eine Art Appetithemmer) wird hier durch das Serum zu einem die Eingeweide verkrampfenden Brechreiz. Alex wird nicht rehabilitiert, indem ihm seine Verfehlungen vorgeführt werden, sondern die Ludovico Behandlung nimmt ihm seinen freien Willen – und die Freude an Beethovens 5. Sinfonie, die zuvor zu seinen Lieblingsstücken gehörte. Es ist ihm unmöglich, auch nur den geringsten aggressiven Akt zu vollziehen. Konditionierung des Unterbewusstseins durch Verknüpfung von Assoziationen und Gefühlen – der Gral der westlichen Zivilisation und ihres Fortschritts – wird hier von einem politisch intriganten Innenminister und seinem Team von Sozialwissenschaftlern als bewußtseinskontrollierende Gehirnwäsche benutzt: schnell, effektiv, kostensparend und mit 0% Rückfallquote. Nicht nur im wachen Zustand ist Alex durch diese Behandlung kontrolliert, auch wenn seine Träume anzüglich oder grausam werden, wacht er unverzüglich in Panik und schweißgebadet auf.

Schnitt zu Sendungen und Sendern wie CNN, History Channel, Die Sopranos, Six Feet Under, Nip & Tuck, Bilder von Abu Graib und die Passion Christi. Es ist meine These, dass die momentane allgemeine Faszination für das Morbide, für extreme Spektakel der Gewalt, Folter, Erniedrigung und für chirurgische Verstümmelung zunehmend in die Welt der zeitgenössischen Kunst eindringt, ob zum Guten oder zum Schlechten ist offen, aber vor allem in zwei Richtungen: Erstens zeigt sie sich in Arbeiten, die das Groteske reflektieren, in erotischen Elementen, die in Pornografie abgleiten. Oder die Arbeiten visualisieren ein Gefühl von klaustrophobischer Hilflosigkeit, ausgelöst durch die Darstellung einer Landschaft von kindlichem Kitzel und jugendlicher Grausamkeit, ungefähr so angenehm wie ein Ausflug in die Blockbuster Videothek; Zweitens ist sie in der rein formalen Ausschöpfung modernistischer Tropen zu finden bis zu dem Punkt, wo nur noch eine extrem barocke Ästhetik erhört werden kann in dem Lärm miteinander konkurrierender Medien. Die Ausstellung Ludovico Treatment versucht, diese beiden Strömungen (die nicht nur separat zu finden sind) sichtbar zu machen.

Das Video Everybody Loves a Winner (2004) von Douglas Fishbone ist eine Montage von verschiedenen Bildern, die aus dem Netz heruntergeladen sind, unterlegt mit einem Kommentar gesprochen von der seltsamen, altklugen Stimme des Künstlers. Die Bilder zeigen seltsame Sequenzen von Bohrungen, einen Zwerg mit Windeln, einen Froschkönig, Bill Clinton, der mit Ariel Sharon Hände schüttelt, Soldaten, die Zivilisten schlagen, Tafeln mit zweifelhaften wissenschaftlichen Theorien, verschiedener religiöser Plunder, beseelte Sektenanhänger und schließlich Witze über Gläubige, Legastheniker, Schlafwandler etc. Fishbones Video ist in seiner schrillen Aneinanderreihung von Bildern kombiniert mit dem strengen Berichterstatterton am nähsten an der Ludovico Behandlung von Burgess, aber seine skeptische Untersuchung ist mehr provozierend als Seelen zerstörend zu verstehen.

Jeff Sonhouses Gemälde zeigt einen Zuhältertyp im Nadelstreifenanzug mit einer voluminösen Afrolook-Frisur, die aus angebrannten Streichhölzern gemacht ist, womit er auf die barocke Ästhetik der Collagen eines Francis Picabia anspielt. In grellen Farben, in einer Pose wie auf Verhaftungsfotos, ist er dargestellt mit einer Goldketten-Ausstattung wie ein Zuhälter – den Zuschauern von American Pimp und Players Ball oder auch von frühen „blaxploitation“-Filmen wie Shaft bestens bekannt – oder einfach wie jemand, der Freitag nachts auf der Vergnügungsmeile in der Innenstadt rumhängt.

Im Video von Chris Larson erinnert eine doppeldeckerartige, hölzerne kybernetische Maschine an Foltermethoden der spanischen Inquisition genauso wie an frühe Geräte des Bodybuildings kombiniert mit Wilhelm Reichs Geräten zum Sammeln der Orgon-Energie. Während die Maschine sich um sich selbst dreht, werden merkwürdige Blasengebilde immer voller gepumpt mit Öl und einer Art Gelee vielleicht hin zum sexuellen Höhepunkt oder zum Zusammenbruch der Maschine – je nachdem.

SunTek Chung konstruiert auf seinen Hochglanzfotos fiktive Identitäten, indem er asiatische Stereotypen miteinander vermischt. Die Arbeit in der Ausstellung zeigt den koreanisch-amerikanischen Fotografen selber als Cricket-Spieler in Kung-Fu-Pose. Er steht vor einem Pagodenaltar im Laura Ashley Muster und hält seinen Schläger wie ein Kendo Schwert. Hier kollidieren Welten miteinander, nicht zuletzt der neo-koloniale Sport Cricket mit der pop-imperialistischen Faszination für alles, was mit Hong-Kong-Action zu tun hat. Chinesen, Japaner, Koreaner, Amerikaner, Inder und Pakistanis: Chung ist ein wild mit Klischees wirbelnder Fotograf. Auf einem zweiten Foto posiert er als Ninja im maßgeschneiderten Burberry-Outfit, faul vor einer Kasse sitzend in einer Art koreanischem Verkaufsstand. Die Wurfsterne koreanischer Kämpfer, die eigentlich als kleine Raketen den Gegner zur Strecke bringen sollen, hängen hier als abstrakte dekorative Elemente im Raum. Es sieht aus, als wenn Jet Li oder Jackie Chan für ihre abwesende Mutter einspringen müssen und dabei von einem Porträt im Magazin „Schwarzer Gürtel“ träumen oder von einem Superfahrzeug gefahren von Jean-Claude Van Damme.

Auf Amy Morkens intimen Zeichnungen sieht man Mädchen in Bikinis mit grotesk verschlankten Figuren, sich rekelnd in einer imaginären amazonenartigen Landschaft. Man stelle sich eine mitternächtliche Sendung à la „Vorsicht! Wilde Girls“ vor oder eine „Frühlingsgefühle mit versteckter Kamera“-website, alles jedoch ohne die glattrasierten Beine, ohne die Schlankheit mit Slim Fast und die künstlich erzeugte Bräune und man bekommt eine Vorstellung von der Welt, die Morken uns zeigt..

Tamara Zahakevich baut Papier- und Pappskulpturen in mittlerer Größe, die auf den ersten Blick aussehen wie Architekturskizzen von einer von Zaha Hadids frühen suprematistischen Städte. Wie Lebbeus Woods zarte Notizblockzeichnungen von Kurt Schwitters Merzbau scheinen sich Flugzeuge in merkwürdigen Winkeln übereinanderzulappen. Sie scheinen Fußgängerwege zu durchkreuzen und von vornherein eine Nutzung unmöglich zu machen. Die normalen Farben der Pantone-Skala knallen hier in kreischenden Flächen aufeinander und machen so jede Assoziation an Massenproduktion oder Serialität à la Donald Judd unmöglich. Einzigartigkeit ist die Norm für jedes einzelne der Stücke.

Die abstrakten Gemälde von Ernest Jolicoeur und Dan Kopp sind ähnlich wie die Arbeiten von Zahakevich in flirrenden Farben gehalten, die eine postindustrielle bonbonfarbene Zukunft zu zeigen scheinen. Vornehm ausgedrückt halten sich beide eher am oberen Ende der Farbskala von Wachsmalkreide für Kinder auf. Jolicoeur schneidet mit einem Teppichmesser Rillen in das Holz, auf dem er malt, um den physischen Gestus zu unterstreichen. Kopp wiederum bastelt und halluziniert sich Grotten und Höhlen zurecht, improvisierte Dachstrukturen in brandheißen Farben..

Die Tuschezeichnungen von Kanishka Raja bringen die Interieurs hipper Junggesellen (für jeden vertraut, der in den letzten 5 Jahren die Zeitschrift Wallpaper in der Hand hatte) zusammen mit Strukturen und Mustern bekannt aus Op-Art à la Bridget Riley oder Victor Vasarelys optischen Explosionen. Aber Raja ist nicht so sehr interessiert an rein optischen Effekten, vielmehr zeigt er Pelz, Holz, Furnier und Marmor als Hintergrund, stellt deren Oberflächenqualitäten heraus, um eine Enzyklopädie der unterschiedlichen Flächenwirkungen zu entwickeln. Decken, Fußboden, Wände, Türen und Fenster werden dazu benutzt und bilden nur Projektionsfläche für die Vorstellung seiner persönlichen Datenbank von Mustern und Flächen.